Presse


EINESTAGES – 28. Mai 2010 16:35

Urlaub in Jugoslawien

Tito, wir kommen!

Am Ziel der Reise: Rainer Kähni und seine Mutter Hilde Kähni im August 1954 vor dem Panorama des Weltkulturerbes Dubrovnik. Die Pracht der Adria sollte sie für alle Strapazen der Reise belohnen.

von Rainer Kähni

Explodierende Gaskocher und Wildcamping mit Partisanen: Eigentlich fuhr Rainer Kähnis Vater im Urlaub am liebsten nach Frankreich – doch die Spuren der Kriegszeit ließen ihn dort nicht los. So reiste die Familie 1954 erstmals nach Jugoslawien – und erlebte dort mehr als nur eine Überraschung.
Frankreich hatten wir mit unserem Mercedes Cabriolet bereits von oben bis unten erforscht. Außerdem lag dort stets ein Schatten der Vergangenheit über unserem Urlaub: Viele Franzosen reagierten immer noch wütend auf Vater, der dort Zeit als Offizier im Zweiten Weltkrieg verbracht hatte, was sich mir aber damals als kleiner Junge nicht erschloss. Also machten wir uns auf zu neuen Ufern.

Mutter meldete Bedenken gegen eine Reise nach Jugoslawien an, da gebe es doch immer noch Partisanen, die mit ihren Kalaschnikows in den Wäldern hausten, und außerdem kenne sie die Speisen dieses Landes gar nicht. Doch der Beschluss stand. Sie tat, was sie in solchen Fällen immer tat: Sie deckte sich mit ganzen Batterien von Dosenfutter ein, versäumte auch nicht, den Bunsenbrenner und das Zelt zu verpacken, und los gings über den Arlberg, den Reschenpass nach Meran und Bozen.

Aufbruch ins Ungewisse

Vater lenkte seinen neuen Opel Kapitän über Bassano di Grappa nach Treviso, und so fiel auch noch ein bisschen Venedig und Triest für uns geschundene Beifahrer ab, bevor wir ins Partisanenland vorstießen. Vater blieb ganz cool, denn hier hatte er im Krieg keine Spuren hinterlassen, musste also nicht damit rechnen, mit seiner Vergangenheit konfrontiert zu werden.

Wir überquerten frohgemut die Grenze nach Jugoslawien und waren äußerst verwundert, dass man in Slowenien deutsch sprach. Aha: Die Österreicher waren schon vor uns da gewesen. Vorbei am Sommersitz des jugoslawischen Sonnenkönigs Marschall Josip Broz, genannt Tito, der wunderschönen Insel Brioni in Kroatien. Vater konnte sich eine böse Sottise nicht verkneifen: „Der Kerl hat denselben Uniformtick wie einst unser Hermann Göring!“

Vater hatte etwas gegen Uniformen, in seiner Einheit in Frankreich trug man Zivil. Die Fahrt ging weiter über holperige Feldwege nach Sarajevo, wo man sich eher im Orient als auf dem Balkan wähnte. Die Männer trugen Fez und hämmerten auf Kupfer herum, Teppiche wurden auf dem orientalischen Bazar angeboten wie einst in Konstantinopel. Von den Minaretten rief der Muezzin zum Gebet, die Menschen waren bettelarm und reserviert gegenüber uns Deutschen.

Endlich in Ragusa!

Weiter ging es nach Mostar, wo die Zeit stehen geblieben zu sein schien. Das war tiefster Orient, pittoresk und wunderschön. Mutter hatte die Nase voll vom Wildcampen, sie fürchtete die Partisanen. Und tatsächlich sahen wir auf unserer Fahrt bedrohlich aussehende Gestalten in zerlumpten Uniformen. Doch Vater, ganz ehemaliger Offizier, fuhr sogar fast einige von ihnen über den Haufen. Immerhin fanden wir nach einiger Zeit eine kleine Gruppe Deutscher, mit der wir im Konvoi nach Ragusa fahren konnten.

Ein Mönchlein in einer zerschlissenen Soutane wurde unter Protest meiner Mutter von meinem Vater zum Mitfahren eingeladen. Der Mönch zeigte uns all das, was wir heute in der katholischen Kirche so schmerzlich vermissen: Demut, Brüderlichkeit, Bescheidenheit und Opferbereitschaft. Obwohl er nämlich selbst am Hungertuch nagte, zerrte er aus seiner schmutzigen Kutte einige lauwarme Feigen heraus und teilte sie mit uns. Mutter schüttelte sich vor schierem Grausen, doch Vater wusste, was sich gehörte: Er nahm das Geschenk an und bedankte sich in lateinischer Sprache.

Und dann kam der große Augenblick: Ragusa, das heutige Dubrovnik, lag vor uns! Die Adria und das heutige Weltkulturerbe waren diese Strapazen allemal wert. Hier kamen die Raviolidosen von Mutter zum Einsatz, doch vor deren Genuss hatte Gott den Bunsenbrenner gestellt. Und der explodierte. Vaters Wangenknochen mahlten, Mutter weinte. Also musste Vater wohl oder übel seine Reisekasse plündern und wir aßen zum ersten Mal in unserem Leben jugoslawisch. Es war ein Traum!

© SPIEGEL ONLINE 2008


EINESTAGES – 11. Mai 2010 12:13

Deutsche in Frankreich

Invasion in Etappen

von Rainer Kähni

Franzosen lästern gerne über die Deutschen: Erst kamen sie hoch zu Ross, dann zu Fuß, später mit Panzern, schließlich mit Campingausrüstung, und heute kommen sie mit Möbeln! Wie Familie Kähni.
Es begann mit dem Urgroßvater aus Altshausen in Oberschwaben, der gezwungenermaßen mit den Preußen im Jahre 1871 in Paris einzog, wo dann im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles der preußische König von Reichskanzler Bismarck zum Kaiser des deutschen Reiches ausgerufen wurde. Diese fatale Entscheidung und die grandiose Selbstüberschätzung Wilhelm II, auch Wilhelm der Plötzliche genannt, führten seinen Sohn, ergo meinen Großvater, 1914 als Soldaten nach Frankreich. Er wurde in das Königlich Württembergische Infanterieregiment Nr. 124 nach Weingarten/Württ. eingezogen und litt mit seinem Regiment vier Jahre in der Hölle von Verdun. Sein damaliger Zugführer war Leutnant Erwin Rommel, der später als Wüstenfuchs bekannt wurde.

Meine Mutter rettete ihrem Vater das Leben. Als sie am 18. August 1918 geboren wurde, bekam Opa Heimaturlaub. Als er danach zu seiner Einheit zurückkehrte, war das halbe Regiment aufgerieben und in den Schützengräben verblutet.

Meine Mutter heiratete 1938 einen angesehenen Rechtsanwalt aus Singen am Hohentwiel, der, 1902 geboren, eigentlich schon zu alt für die Front war. Doch er verfügte über exzellente Beziehungen. Ein Anwaltskollege aus Saarbrücken hatte es bis zum SS-Brigadeführer und General der Polizei gebracht. Er war der dritte Mann in der Hierarchie des Reichssicherheitshauptamtes und Chef des berüchtigten Sicherheitsdiensts (SD). Walter Schellenberg besorgte meinem Vater eine Position, die nicht zu auffällig war. Er wurde Sonderführer des Amtes Ausland/Abwehr und übernahm die Abteilung Gegenspionage im Militärverwaltungsbezirk C in Dijon in Nord-Ost-Frankreich.

Acht Jahre nach Kriegsende packte meine Eltern das Reisefieber.

Im Mercedes gen Frankreich

In Deutschland begann das Wirtschaftswunder, und wir zogen nun mit einer Campingausrüstung bewaffnet gegen Frankreich. Vater mied geflissentlich die Region rund im Dijon und Lyon, so führte uns der Weg in unserem nagelneuen Mercedes Cabriolet 170 über die Schweiz nach Grenoble, das Rohnetal hinab bis nach Marseille. Vater sprach immer noch exzellent Französisch und suchte als äußerst geschichtsbewusster, aber auch sehr sparsamer Mann die schönsten Hafenkneipen aus, wo ich meine erste Bouillabaisse versuchte. Wir fuhren mit einem Kutter zum Chateau d’If, das durch Alexandre Dumas berühmt wurde und nun eine Kaserne der französischen Fremdenlegion war. Das berühmte Panier von Marseille war aufgrund seiner unübersichtlichen Bauweise während der deutschen Besetzung ein Zufluchtsort für jüdische Flüchtlinge, die französische Résistance und die korsische Mafia. Vater wollte nicht daran erinnert werden und mied diese Gegend mit den Worten: Es ist zu gefährlich! Aha!

Die Reise ging weiter über die Calanque von Marseille, wo damals nur arme Fischer in ihren Hütten hausten und die heute von den Parisern zur absoluten In-Gegend gemacht worden ist. Sie arbeiten von Montag bis Donnerstag in Paris, schlafen auf Feldbetten in ihren Büros und fahren dann in ihre zu Luxusvillen umgebauten Fischerhütten an den schönsten Buchten zwischen Marseille und La Ciotat, die sie den Fischern für ein Butterbrot abgeschwatzt haben. Der Schnellzug TGV macht’s möglich. In dreieinhalb Stunden ist man heute mitten in Paris, erledigt seine E-Mails im bequemen Fauteuil des Zuges und hat die Mitarbeiter schon aufgescheucht, bevor man im Bureau eingetroffen ist.

Wir fuhren zu den fast unberührten Stränden des Golfes von Lyon bis nach Saint Tropez. Bandole, Sanary-sur-Mer, Bormes-les-Mimosas, Hières und die Halbinsel Giens mit ihren Salinen hinterließen bei meiner Mutter und mir wegen der herrlichen Strände und der Mischung aus Belle Epoque und Provence einen bleibenden Eindruck. Meine Mutter ging meinem Vater mit der Aufzählung der vielen jüdischen Künstler, Maler, Bildhauer und Intellektuellen und vor allen Dingen mit Geschichten über Thomas Mann auf die Nerven, der hier vorübergehend Unterschlupf vor den Nazis gefunden hatte. Entweder tat sie dies absichtlich, um meinen Vater zu provozieren, oder sie war einfach nur etwas unsensibel.

„Ich habe Ihre Gastfreundschaft im KZ genossen!“

Saint Tropez war damals ein verschlafenes Fischerdorf, das nicht erwarten ließ, dass es einmal zum Sammelpunkt von Stars aus Film, Musik und Kunst wie Brigitte Bardot, Gunter Sachs und Herbert von Karajan erkoren würde. Leider sind diese großartigen Menschen später dann aber geflüchtet und überließen das reizende Fischerdorf den Möchtegernpromis, die es zu einem abstoßenden Spektakel des Geldadels verkommen ließen.

Endlich waren wir an der eigentlichen Côte d’Azur angekommen und besuchten das mondäne Cannes mit seinen prunkvollen Hotel-Palästen aus der Belle Epoque. Lang hielt mein Vater es dort nicht aus, denn er wurde auf dezente Art mit seiner Vergangenheit konfrontiert.

Vater wollte dort nämlich ein Sommerhemd kaufen, doch die Madame Verkäuferin erkannte trotz seiner exzellenten französischen Sprachkenntnisse den deutschen Akzent und forderte ihn auf, deutsch zu sprechen. Unter Vorzeigen ihrer eintätowierten KZ-Nummer, sagte sie süffisant: „Monsieur, Sie können ruhig deutsch sprechen, ich hatte das große Vergnügen, Ihre Gastfreundschaft in Ausschwitz-Birkenau zu genießen.“

Zu vornehm, zu teuer, zu suspekt

Fluchtartig und kreideweiß im Gesicht verließ mein Vater das Geschäft und setzte die Reise fort. Es ging weiter nach Antibes und auf das durch Marylin Monroe, John F. Kennedy und den Herzog von Windsor berühmt gewordene Cap d’Antibes. Das Jazzfestival in Juan-les-Pins platzte schon damals aus allen Nähten und lockte Künstler aus der ganzen Welt an. In Saint-Paul-de-Vence spielten Yves Montant, Lino Ventura und Jean-Paul Belmondo Boule und tranken den billigsten Rotwein, den man für arme Schauspieler auftreiben konnte. Doch die Gitanes maïs oder die Gauloises durften nie in ihren Mundwinkeln fehlen. Nizza war noch geprägt durch die Grafen von Piemont und den Einfluss der Italiener. So ist es bis heute geblieben. Die Altstadt von Nizza mit dem Cours Saleya erinnert immer noch ein wenig an Palermo. Nur etwas gepflegter!

Beaulieu-sur-Mer war mit seinen prachtvollen Bauten aus der Belle Epoque eine Hochburg der Engländer. Auf dem vorgelagerten Cap Ferrat wohnten David Niven und Curd Jürgens. Die kleinen Hafenkneipen wurden von den Boatpeople der Bohème frequentiert. Die Krönung des Cap Ferrat ist natürlich die Villa Ephrussi de Rothschild mit ihren herrlichen Gärten. Diese Villa wurde im Stil der florentinischen Renaissance erbaut und hatte leider einen blutrünstigen Nachbarn: König Leopold von Belgien legte seine in Belgisch-Kongo geraubten Blutdiamanten in herrlichem Grundbesitz an. Wir hielten uns dort nicht lange auf. Meinen Eltern war das alles zu vornehm, zu teuer, zu suspekt und schon damals zu degeneriert.

Das kleine und arme Fürstentum von Monaco hatte es uns dagegen angetan. Fürst Rainier III suchte verzweifelt nach einer Lösung für seine Geldsorgen. Das Problem schien durch die Vermittlung von David Niven lösbar zu sein. Er hatte beste Verbindungen nach Hollywood, und so gab es nicht viel später eine Traumhochzeit mit einer Schauspielerin namens Grace Kelly.

Mein Frieden mit dem Erbfeind

Und aber zog es weiter auf das Cap Martin, wo Winston Churchill seine Zelte aufgeschlagen hatte und seine Krankenschwester schikanierte. Er trank gerne schon morgens seinen Whisky und paffte unablässig fürchterliche Zigarren. Kaum um das Cap Martin herumgefahren und den Wohnsitz von Kaiserin Elisabeth von Österreich, besser bekannt als die unglückliche Sissi, hinter uns gelassen, lag da die italienischste Stadt Frankreichs: Menton, die Perle der Côte d Azur.

Meine Mutter war so begeistert von dieser an Jugendstil so reichen Stadt der Zitronen, dass sie sofort ihr Mercedes Cabriolet anhielt, um ihren Lieblingsschriftsteller Kurt Tucholsky zu zitieren: „Die Côte d’Azur liegt da und sieht aus!“ Mein Vater war sauer und sprach lange Zeit kein Wort mehr mit Ihr. Mutter schüttete sich aus vor Lachen.

Kurz vor ihrem Tode, sie war schon weit über achtzig Jahre alt, wünschte sich meine immer fröhliche Mutter, noch einmal die Côte d’Azur sehen zu dürfen. Also reiste ich von meinem Wohnort in Südfrankreich nach Singen am Hohentwiel, um ihr die französische Riviera ein wahrscheinlich letztes Mal zu zeigen. Sie wusste es und doch sprühte sie vor Leidenschaft für diese wunderschöne Landschaft. Sie sagte nur: “ Danke, dass ich das noch einmal erleben darf! War es nicht köstlich, wie wir damals Vati geärgert haben?“ und fügte in ihrem badischen Dialekt hinzu: „Bue, des hosch recht gmacht!“

Ich hatte schon längst mein Herz an Frankreich verloren und für meinen Clan endlich meinen ganz persönlichen Frieden mit dem sogenannten Erbfeind geschlossen. 1981 schlugen wir unseren zweiten Wohnsitz an der Côte d’Azur auf. Im Jahre 1995 kam meine Ehefrau mit den Möbeln. Ich wohne nur wenige Kilometer vom Meer entfernt und schreibe Romane, Krimis und Politthriller über Frankreich. Das Land bietet ein unerschöpfliches Reservoir an politischen Skandalen und genialen Kriminalfällen. Mein Vater muss das gewusst haben, deshalb zog es ihn wohl wieder an den Tatort zurück.

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Decembre 2009